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Eröffnung des 52. Internationalen AICA Kongress

Kongressteilnehmer

Foto Anja Teske

Rede zur Eröffnung des Internationalen AICA Kongress
Kunstkritik in Zeiten der Populismen und Nationalismen
Hamburger Bahnhof, 3. Oktober 2019


Ich begrüße heute hier sehr herzlich die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers, die Präsidentin von AICA International, Lisbeth Rebollo-Goncalves, den Direktor der Nationalgalerie und die „Hausherrin“ dieses Museums, Udo Kittelmann und Gabriele Knapstein.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, seien ebenso begrüßt wie alle unsere Gäste!

Ganz herzlich heiße ich natürlich alle unsere Referenten und Moderatoren willkommen, die teilweise von weither angereist sind. Sie sind natürlich das Herz unseres Kongresses. Sie sind gekommen, um ihre jeweiligen Standpunkte zu vertreten, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit uns zu teilen. Die Moderatoren/innen werden sie sicher manches mal „aus der Reserve locken“, in die Tiefe bohren, vielleicht auch den advocatus diaboli spielen und ganz sicher die Verbindung zu Ihnen, zu unserem Publikum schaffen. Wir sind gespannt auf die Debatten, denen wir viel Platz eingeräumt haben. Das ist natürlich ein Wagnis – aber ich hoffe, dass es sich lohnen wird.

Für die AICA Deutschland ist es eine Herausforderung und eine Chance zugleich, diesen 52. Internationalen AICA Kongress unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission hier und heute in Berlin zu eröffnen.

Kunstkritik in Zeiten von Populismen und Nationalismen greift ein Thema auf, das uns in fast allen Bereichen der Gesellschaft zunehmend intensiv beschäftigt, ein Blick in die Zeitungen oder eine Minute TV- oder Rundfunknachrichten machen das klar. In unserer immer schnelllebigeren Gesellschaft wird das tägliche Leben von raschen Tweets und Sloganartigen Kurznachrichten skandiert: Ihre Botschaften sind umso leichter zu behalten, als sie kurz und prägnant sind – aber leider nicht immer der Wahrheit und den Fakten entsprechen.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass gewisse politische Akteure – allen voran der Präsident der USA – sich dieser modernen Kommunikationsmittel bedienen: Hiermit bringen sie ihre Botschaften unter das Volk, ohne sich – wie wir es alle noch gewöhnt sind – den kritischen und vertiefenden Fragen von Journalistinnen und Journalisten zu stellen.

Kein Wunder also, dass auch die Aktivisten der verschiedensten gesellschaftlichen Interessensgruppen für ihre Debatten, im Streit um ihre Identität und Unverwechselbarkeit, ganz ähnliche Methoden durchaus erfolgreich anwenden. Hier ist es gleich, ob es um #me too geht, um die Hautfarbe, um das Geschlecht, um Fragen der sexuellen Orientierung, der kulturellen Herkunft oder es sich um die Frage der Nationalität dreht. Populistische Tendenzen, gleich welcher Couleur, prägen die Medienlandschaft und damit ebenso die Kunst- und Kulturkritik.

Und auch die Kunst, die ja nun ein lebendiger und aktueller Teil des gesellschaftlichen Lebens ist, bleibt dabei nicht verschont. Ihre Autonomie wird vor allem dort wo sie ethnische Themen aufgreift, in Frage gestellt.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich stelle hier keineswegs die Legitimität dieser so oft so emotional gesteuerten Bedürfnisse in Frage. Ich stelle aber fest, dass diese Fragen und Debatten unweigerlich einen starken Impact auf die Kunst und auf den Umgang mit ihr haben.

Ist es legitim, eine Ausstellung von Balthus abzusagen, weil seine Bilder einem unstatthaften Begehren freien Raum geben könnten? Aber geht dieses Problem wirklich vom Künstler aus oder doch nicht viel eher vom Betrachter?

Wie können wir uns als Kunstkritiker in der Ambivalenz zwischen der Verteidigung der Autonomie der Kunst einerseits und ihrer sozialen Einbindung andererseits entscheiden? Was sind die Kriterien, die wir zur Beurteilung in Betracht ziehen können - oder sogar müssen? Haben Kunsthistorikerinnen wie Clare Gannaway das Recht, ein historisches Bild wie Hylas und die Nymphen, das 1896 von John William Waterhouse gemalt worden ist, im Museum Machester abzuhängen, nur weil Nymphen an die Femme fatale erinnern? Zum Glück hagelte es heftig Kritik, so dass es heute wieder an seinem alten Platz hängt. Die Geschichte hat den Vorteil darzustellen, dass derartige Entscheidungen von rein emotionalen Befindlichkeiten gelenkt werden. Erstaunlich, dass das Museum, offensichtlich unangenehm berührt von der heftigen Kritik, die ganze Aktion als künstlerische Aktion tarnt, als wäre die Entscheidung einer Kunstkritikerin ein Künstlerischer Akt!

Weshalb sonst werden ethische Bewertungskriterien ins Feld gezogen, wenn eine weiße Künstlerin das Begräbnis des 1955 ermordeten Amerikaners Emmett Till malt. Könnte der tragische, historische Fall, der leider nichts an Aktualität verloren hat weil immer wieder schwarze Jungs in den USA willkürlich von Weißen erschossen werden, nicht als Hommage angesehen werden? Oder liegt es möglicherweise daran, dass das Bild in seiner abstrahierenden Weise doch zu belanglos geraten ist, um als Ehrung des Opfers angesehen zu werden? Und was ist mit den umstrittenen Filmemachern Woody Allen und Roman Polansky?

Uns beschäftigt also die grundsätzliche Frage: Wo und wie verläuft die Grenze zur Beschneidung künstlerischer Ausdrucksfreiheit?

Kunst, meine Damen und Herren, ist immer wieder das Spiegelbild unserer Gesellschaft mit all ihren Spannungen und Irrungen. Sie reflektiert die aktuellen Diskussionen, derzeit – wie schon eben erwähnt - besonders über die Genderproblematik, das Klima, den Rassismus und den Post-Kolonialismus, mal provokativ, mal bejahend. Seit Anbeginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Kunstszene durchaus an politischen Aktivismus gewöhnt: Christoph Schlingensief, zum Beispiel mit seiner Aktion Bitte liebt Österreich, bekannter als Ausländer raus!, die Occupy-Bewegung, zeitnaher das Zentrum für Politische Schönheit mit dem Holocaust Mahnmal Bornhagen oder noch Peng! die mit Fake ID den Besucher vor der Frage stellen, wie weit er bereit wäre, seine Identität zu teilen, um einem Flüchtling den Zugang zu Europa zu verhelfen. Solche Aktionen fordern sehr ernsthaft zum Nachdenken auf und zum Handeln. Sie sind auf Provokation angelegt und werden in der Gesellschaft auch durchaus in dieser Form wahrgenommen, positiv oder ablehnend. In dieser Hinsicht kann man sie mit der Klimaaktivistin Greta Thunberg vergleichen. Auch sie schreit hochemotional heraus, dass die Politiker endlich handeln müssen und verschafft sich Gehör, mehr als die Kunstaktionen, die sich an der Grenze der Legalität bewegen und zum Ungehorsam aufrufen. Ihnen allen könnte man den Gebrauch populistischer Methoden avant la lettre attestieren.

Doch merkwürdigerweise stehen nicht diese grenzsprengenden Querdenker, die ein neues ethisches Leitbild der Gesellschaft fordern und Denkmodelle dazu vorschlagen, im Focus der gegenwärtigen Kunstkritik, sondern Bilder, die vermeintlich oder auch ganz real gegen ethische Werte verstoßen. Im Trubel der Identitätsfindungen werden plötzlich ethische Ansprüche – ob zu Recht oder Unrecht – an historische wie zeitgenössische Kunstwerke gestellt. Gefordert wird eine revidierte Lektüre auch älterer, schon lange zum festen Kanon der Kunstgeschichte gehörender Werke, als wären wir gerade dabei, einen neuen Bildersturm zu erleben oder einen neuen Index verbotener Werke zu schreiben. In seine Dankesrede für den Erhalt des Breitbachpreises zitierte Thomas Hettcher Harald Welzer, der beschreibt, dass: Zitat „Jedes einzelne Werk primär nicht mehr auf seine künstlerische Qualität hin betrachtet wird, sondern auf die emotionale Verletzungs- und Irritationsmöglichkeit, die in ihm liegen könnten.“ Die Liste der Argumente, so möchte ich sagen, mit denen das Leid der Welt gegen die Autonomie der Kunst ausgespielt wird, ist lang.

Welchen Einfluss hat es auf die Kunstkritik, wenn gesinnungsstiftende moralische Werte in die Beurteilung einfließen, die per se die Autonomie der Kunst einschränken? Wie soll sie abwägen im Amalgam von gegensätzlichen Bewertungskriterien? Wie ist es um die lang erkämpfte Freiheit der Kunst bestellt, die – ganz wunderbar - im deutschen Grundgesetz verankert ist, wenn aus verschiedenen Seiten die Abhängung von Kunstwerken und ja sogar ihre Zerstörung gefordert werden? Hat möglicherweise die Kunstkritik selbst einen Anteil an populistischen Entscheidungen beim Umgang mit Kunst, indem sie gelegentlich dabei versagt, genau die Bewertungskriterien zum Schutz der Werke zu definieren, die beispielsweise im Kontext ihrer historischen Entstehung liegen?

Wie wäre es, wenn man den Rat von Frederic Bussmann, Generaldirektor der Kunstsammlungen Chemnitz, folgen würde, wie er es im Septemberheft von Monopol kurz und bündig formuliert „Die Arbeit des Kunsthistorikers: Den Kontext ausblenden, sich mit den Werken selbst beschäftigen, fragen, was man sieht, vor sich hat“ und mit Thomas Hettche vielleicht wieder behaupten, dass „nur Wahrhaftigkeit in der Wahrnehmung zur Qualität führt“? Selbstkritisch gilt es zu fragen, ob es die Kunstkritik noch wagt, differenzierte Orientierungsmerkmale anzubieten.

Der Durchbruch der Social Media hat schwerwiegende Folgen auch für das Berufsbild des Kunstkritikers. Allzu sehr haben sich Leser weltweit an kurze, aktuelle und schnell zu konsumierende Texte gewöhnt. Vor dem Hintergrund der elektronischen Distribution hält der Auflagenschwund gedruckter Medien weiter dramatisch an, was Verlage in immer stärkere Abhängigkeit vom Anzeigengeschäft und von einem vermeintlichen Zeitgeist knapper Inhalte bringt. Anzeigen werden im Kulturbereich zu einem Gutteil von Museen geschaltet, die sich als Gegenleistung wohl eine eher positive Berichterstattung erhofft.

Verleger legen daher – in allen Sparten – immer weniger Wert auf anspruchsvolle Feuilletons und kritische Kulturberichte, mit der Folge, dass der Kulturjournalismus seit Jahren ums schiere Überleben kämpft. Nur wenige Journalisten haben heute noch das Privileg einer soliden Festanstellung – als Garant für Meinungsfreiheit. Die Freischaffenden sind gezwungen, an Akademien zu lehren, als Kuratoren oder Autoren für Museumskataloge zu arbeiten. Das wiederum beeinträchtigt sehr wesentlich eine freie, kritische Berichterstattung.
Auch die AICA ist von dieser Entwicklung betroffen: Es gibt nur noch wenige wirkliche Kulturredakteure in unseren Reihen. Unsere Aufgabe ist es daher, gemeinsam den Dialog einzuleiten, die Probleme mit Nachdruck zu benennen und für eine freie Kunstkritik ins Feld zu ziehen. Genau das wollen wir mit unserem Kongress. Es werden die verschiedensten Stimmen zu Wort kommen, zum Teil sehr gegensätzlicher Natur.

Wir hegen die Hoffnung, dass die Gespräche von Neugier geprägt und im Respekt vor den jeweiligen Unterschieden der Meinungen geführt werden, sich selbst treu und den anderen gegenüber aufgeschlossen, um vorurteilsfrei Möglichkeiten des Verständnis‘ auszuloten, in Anerkennung und Akzeptanz der Differenzen.

Mit anderen Worten: Wir wollen uns im Sinne von François Jullien, der den Spagat versucht zwischen der Französischen Philosophie und dem Chinesischen Denken, uns auf den Weg der Begegnung begeben. Wir wollen eine andere Form des Universellen erfinden, da seine humanistische Auslegung offensichtlich an Wertigkeit verloren hat.

Ansätze zu Neubewertungen scheinen sich abzuzeichnen. Als solche werte ich den Leitartikel im Septemberheft von Monopol, der sich der Neubewertung der Ost-Deutschen Kunst, deren Akzeptanz im Westen doch sehr eingeschränkt war. S. Leitartikel „Neues Deutschland – Ost gegen West, Global gegen Lokal: Welche Rolle spielt die Kunst?

Auch die AICA überprüft mit ihrem Eröffnungsvortrag von Jacques Leenhardt die Situation der AICA zur Zeit der Wiedervereinigung, was aus heutiger Sicht vielleicht ebenfalls einer Neubewertung verdienen würde.

Ich möchte meine Betrachtungen mit der Projektion einer ephemeren Installation von Thomas Sterna beenden: Es handelt sich um ein Gebet des Künstlers an den Kurator, der auf der Basis des christlichen „Vater Unser“ die Abhängigkeitsverhältnisse mit einem humorvollen Sarkasmus darstellt. Es wurde auf die Glasfassade des Museion in Bolzano in einer Nacht und Nebelaktion projiziert, gerade lang genug, um sie als Bild zu verewigen: ich erlaube mir, Ihnen den Text vorzulesen.

Thomas Sterna, Kurator unser

Projektion auf der Fassade des Museion, Bolzano


KURATOR UNSER,
DER DU SITZT IN DER JURY,
GEPRIESEN SEI DEIN NAME,
DEINE DOCUMENTA KOMME,
DEINE AUSWAHL BESTEHE,
WIE AUF DEN BIENNALEN,
SO AUCH IN DEN MUSEEN.
UNSER STIPENDIUM SCHENK UNS HEUTE,
UND VERGIB UNS UNSERE ZWEIFEL AN DIR,
WIE AUCH WIR DIR DEINE ZWEIFEL AN UNS VERGEBEN.
UND FÜHRE UNS NICHT AUF DIE MESSEN,
SONDERN ERLÖSE UNS VON DER PROFITGIER DER SAMMLER.
DENN DEIN IST DIE KUNST UND DIE MACHT,
UND DIE AUFMERKSAMKEIT,
IN EWIGKEIT.
AMEN.


Das kann auf den Kritiker, der die documenta, Biennalen und Messen bespricht leicht übertragen werden. Ich hoffe, dass Sie alle genug Humor und Gelassenheit haben, um diesen Seitenhieb eines Künstlers zu ertragen. Wer Lust hat, kann den Künstler selbst ansprechen. Thomas Sterna ist hier anwesend.

Dieses Gebet wäre ein dankbar pointierter Abschluss, doch möchte ich, bevor ich das Wort an Jacques Leenhardt übergebe, noch alle erwähnen, denen besonderer DANK gebührt.

Dieser Kongress wäre ohne die großzügige Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes als Kooperationspartner niemals zustande gekommen. Dafür will ich Frau Völckers sehr herzlich danken und mit ihr auch Frau Tappe-Hornbostel, die das Projekt seit Anbeginn begleitet hat. Dank gebührt auch der Bundeszentrale für politische Bildung, die das Panel zur Zensur finanziert und der Stifterin der Kai 10 /Athena Foundation, Frau Schnetkamp, für das - wie ich finde - sehr attraktive Booklet mit den Abstracts der Referenten, dass Sie, meine Damen und Herren, als Teilnehmer des Kongresses im Kulturbeutel (???) gefunden haben. Auch Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie und Gabriele Knapstein, Direktorin des Hamburger Bahnhofs sagen wir ein herzliches Dankeschön, dass wir die Eröffnung des Kongresses hier durchführen können. Er findet seine Fortsetzung ab morgen in der Berlinischen Galerie, wo wir bei Direktor Thomas Köhler und der Kommunikationsleiterin Christiane Friedrich ein offenes Ohr fanden. Wir werden heute Abend im Palais Populaire empfangen. Dafür danke ich Herrn Friedhelm Hütte und Herrn Thomas Strauß sehr herzlich sowie allen Institutionen und Galerien, die uns während des Post-Kongress‘ ihre Türen öffnen. Die Liste ist lang und ich bitte um Verständnis, dass ich sie nicht alle nenne, aber eines kann ich jedenfalls sagen, dass wir nämlich genau ihretwegen nach Berlin gekommen sind.

Nun wird mein Dank viel persönlicher, denn er geht an alle, die mit mir zusammen diesen Kongress ehrenamtlich konzipiert und organisiert haben. Das ist im Vorstand Ellen Wagner, Schatzmeisterin, die mit mir die gesamte Organisation überwacht und noch die Redaktion des Begleithefts betreut, Uta M. Reindl, Vize-Präsidentin, die rastlos und mit viel Liebe die beiden Tagungstage in Köln vorbereitet und das Programm rund herum entwickelt hat sowie Sabine Maria Schmidt, Vize-Präsidentin, die zusammen mit Gerd Korinthenberg die Presse- und Textarbeit übernommen hat. Danken möchte ich auch unserem Kongressteam, Julia-Constanze Dissel, Jörg Heiser, Bernhard Serexhe und aus dem Ausland Liam Kelly und Maria-Terttu Kivirinta, die bei der Entwicklung des Themas und der Auswahl der Referenten, die auf das Call for Paper reagiert haben, den Vorstand unterstützt haben und überall dort tätig sind, wo wir Hilfe brauchen.

Auch den Mitarbeitern bei der Organisation und praktischer Umsetzung sei namentlich gedankt: Mabel Aschenneller für die Gesamtkoordination der Räume, der Technik, des Caterings unEröffnung des 52. Internationalen AICA Kongress d der Buslogistik. Konstanty Szydlowski sei Dank für die Koordination aller Teilnehmer und mit Elisa Rusca für die Organisation des Post-Kongresses,
Julia-Constanze Dissel, Uta M. Reindl und Teobaldo Lagos-Preller für die Übersetzungen.
Ich danke meinen Mann Rolf Weber als Admin und IT Berater und auch für seine Unterstützung bei der Sponsorensuche. Und last but not least geht mein Dank an Felix Kosok für die sehr gelungene Corporate Identity und die angenehme Zusammenarbeit.

Abschließend möchte ich alle Kongressteilnehmer nochmals aufs herzlichste willkommen heißen und hoffe, dass Sie sich rege an den Diskussionen beteiligen werden.

Danièle Perrier



Laudatio zum Museum des Jahres 2018

Auszeichnung des Ludwig Forum Aachen zum Museum des Jahres 2018
Laudatio von Dr. Danièle Perrier
Ludwig Forum Aachen, 31. März 2019

Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, die Auszeichnung der AICA Deutschland „Museum des Jahres 2018“ dem Ludwig Forum für Internationale Kunst zu übergeben, denn es verbindet mich eine lange persönliche Geschichte mit diesem Haus. Die Neue Galerie und ihren leidenschaftlichen Direktor, Wolfgang Becker, kannte ich schon aus Studienzeiten. Doch erst 1991, als ich den Aufbau des Ludwig Museum im Deutschherrenhaus in Koblenz übernahm, intensivierte sich der Kontakt zum frisch errichteten Ludwig Forum. Allein der Name war Programm: Denn während in Frankfurt Hans Hollein das gleichzeitig entstandene MMK als mittelalterliche Burg konzipierte, also als Museion, oder genauer gesagt, als ein Heiligtum für moderne und zeitgenössische Kunst, entstand hier in Aachen ein Forum, also ein Marktplatz, ein Ort der Volksversammlung und der Gerichtsbarkeit, wo über aktuelle Kunst verhandelt wurde. Denn die Ludwigs verstanden das Sammeln auch als politischen Akt, als Türöffner zu autoritären Regimen und als Instrument zur Verständigung der Völker. Wie zukunftsweisend! So trafen Ost- auf Westkunst, die Pop Art auf den Sozialistischen Realismus des gerade entdeckten Ostblocks. Ausstellungen wie Die Neuen Wilden prägten das Zeitgeschehen und präsentierten erstmals Werke, die in den verlotterten Häusern von Ost Berlin entstanden und auf einmal die Subkultur der Großstadt erneut thematisierten. Berlin war wieder in, wie in den 20er Jahren.

Immer wieder machten die Ausstellungen aus Aachen Furore, wühlten auf mit den provokativen Präsentationen der Gegenwart. Ich selbst erinnere mich besonders gut an die virulenten Diskussionen pro et contra Jeff Koons‘ Jeff and Ilona (Made in Heaven), eines der Kultobjekte des LUFO, die damals sogar die Fachwelt in Aufruhr brachte und sie bis heute spaltet. Diese einmalige Spontaneität verdankte man der Einstellung des Ehepaars Ludwig, das die Auffassung vertrat, dass Privatsammler, im Gegensatz zur öffentlichen Hand, das Recht zum Irrtum haben und somit ganz aktuelle Themen aufgreifen können, damals eine mutige und einzigartige Entscheidung.

Für Video, Film und Performance hatten die Ludwigs keine besondere Ader, und so ist es das alleinige Verdienst des Sammlungsdirektors, Wolfgang Becker, dass schon in den 70er Jahren Videoarbeiten von der Stadt angekauft wurden und das LUFO heute über eine hochkarätige Sammlung von rund 200 Videoarbeiten verfügt.

Eine reiche, diversifizierte Sammlung, eine beachtliche Videosammlung und der Geist eines Sammlers sind die Pfunde, mit denen die nachkommenden Direktoren zu wuchern haben.

Lassen Sie mich kurz erläutern, was in unseren Augen eine Auszeichnung verdient. Besonders hervorheben möchten wir die kluge Ausstellungsstrategie von Andreas Beitin und seines Kuratorenteams. Viele Ausstellungen nehmen den eigenen Fundus als Ausgangspunkt, um bestimmte Stilrichtungen zu erforschen und sie in neuem Licht zu sehen. So Die Erfindung der Neuen Wilden, die sich auf die namensgebende Ausstellung der 70er Jahre bezieht und diese junge, aus der Subkultur der Großstadt Berlin entstandene deutschen Bewegung mit ihrer Experimentierfreudigkeit wieder aus der Versenkung holt und bestens dokumentiert vorstellt. Für Pattern & Decoration, eine US-amerikanische Patchwork- und Dekorationsbewegung, die von Frauen dominiert wird und einen politisch-emanzipatorischen Anspruch erhebt, gilt dasselbe. Beide künstlerischen Bewegungen suchten den Ausweg aus der kopflastigen Konzeptkunst, beide vermochten damals mit ihren riesigen Leinwänden die Menschen in ihrem Bann zu ziehen. Und doch sind sie in Vergessenheit geraten. Es ist also ein großer Verdienst des Ludwig Forum, diese Stilrichtungen aus der Versenkung zu bergen und ihre historische Bedeutung hervorzuheben.

Andere Ausstellungen wie Flashes of the Future, die mein Kollege Bernhard Schulz auszeichnen wird, und auch Valdis Abolins – Wie Fluxus nach Aachen kam zeigen, wie sehr Kunst und Gesellschaft ineinander greifen, wie die Kunst ihre Thematik aus der Aktualität schöpft und wie Jahrzehnte später die Werke zu Zeitzeugen geworden sind.

LuForm Meets RECIPROCITY, das in Zusammenarbeit mit der gleichnamigen Triennale in Lüttich arbeitet wurde, befasst sich mit aktuellen Designfragen. Die derzeit gezeigte Ausstellung Lust auf Täuschung lädt das Publikum mit spielerischen Mitteln zur Auseinandersetzung mit einer Jahrtausende alten Strategie ein, der Vortäuschung falscher Tatsachen, und fordert zur Reflexion über Realität und Virtualität, ihrer oft unentwirrbaren Verquickung, ein brisantes Thema zur Zeit von Fake News.

Auch die Reihe Kinder-förderpreis Kunst, die Kinderarbeiten in den Focus nehmen und junge Menschen animieren, sich künstlerisch zu betätigen, passt ins Programm eines Forums. Sie animiert zum Mitmachen, die Eltern, sich damit zu befassen und ganz allgemein Kunst im Lebensalltag einzubinden, was eigentlich viele Künstler der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigte.

Videoarchiv 04: Die Belgier. Les images immatérielles bildet den Abschluss des fünfjährigen Forschungsrojektes, dessen Zweck es war, die Videobestände des Ludwig Forum aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu beleuchten und thematisch aufzuarbeiten. Hier haben wir einen Einzelfall, wo die Ausstellung nicht Auslöser der Recherchen ist, sondern das Resultat.

Spätestens hier wird klar, dass die Ausstellungen des Ludwig Forum das Ergebnis langer und intensiver Forschung sind. Durch sie werden die Bestände des Hauses immer wieder in andere künstlerische Kontexte eingebunden und unter veränderten Wahrnehmungsgegebenheiten neu interpretiert. Ausstellungen bilden die Essenz eines Museums. Sie sind temporäre Zeitzeugen, die nur durch die dokumentarische Aufarbeitung in Katalogen auf lange Zeit erhalten bleiben. Letztere haben also zwei Funktionen: begleitend zur Ausstellung übernehmen sie eine aufklärerische Bildungsfunktion für die Gesellschaft – an dieser Stelle würdigt die AICA, dass das 700-seitige Compendium zu Flashes of the Future für nur 7 Euro verkauft werden konnte. Dies verdankt sich der Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung, die Andreas Beitin für diese Ausstellung als Partner zu gewinnen wusste. Chapeau. Kataloge sind darüber hinaus das einzige Mittel, die heutige Sicht auf Kunst, Beobachtungen und Interpretationen der Jetztzeit für die Zukunft zu archivieren. Durch sie erfahren wir, wie Kunst zu einem bestimmten Zeitpunkt verstanden wurde, wie sie wirkte und was sie bewirkte. Kataloge schreiben Geschichte und sind wertvolle Dokumente der Zeit.

Das gilt in der heutigen Zeit ebenso für Online-Katalogisierung, die für Video-, Film und Performance ohnedies besser geeignet ist als geschriebene Kataloge. So würdigt die AICA auch das fünfjährige Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Videobestände, die bereits unter der Vorgängerin von Herrn Beitin, Brigitte Franzen, dank der großzügigen Förderung der VolkswagenStiftung in Angriff genommen werden konnte. Heute können sämtliche Werke von 30 repräsentativen Künstlern des Ludwig Forum online gesichtet werden, derzeit die einzige Art und Weise diese medialen Arbeiten ansehen zu können.

Eine dritte Qualität der Museumsdirektion wollen wir würdigen. Jeder weiß, dass Kultur kostet. Oper, Philharmonien und Museen kosten Geld, viel Geld. Sie sind allerdings die Aushängeschilder eines Landes, einer Stadt, eines Volkes, Ausdruck der hochstehenden kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft, sie zeugen von deren geistigen, philosophischen, literarischen und bildnerischen Interessen. Und doch fehlt in den meisten Kassen das Geld. Deshalb würdigt die AICA auch die Überzeugungskraft der Direktoren, die es schaffen, außerordentlich hohe Drittmittel zu beschaffen. An dieser Stelle möchte ich auch dem Verein der Freunde des Ludwig Forum e. V. danken und der amtierenden Vorsitzenden, Frau Haendly, unser Beileid zum Verlust des vor kurzem verstorbenen, sehr aktiven Vorsitzenden, Ernst Höhler.

Ein hervorragendes Ausstellungsprogramm, exzellente Dokumentation, Kataloge und Online- Archive als Instrument des Geschichtsbewusstsein, Findigkeit im Erwerb von Drittmitteln und was noch?

Hier möchte ich noch eine Reihe von Tätigkeiten würdigen, die in der Öffentlichkeit kaum Erwähnung finden, obwohl sie für ein Museum von essentieller Bedeutung sind. Ich meine die Konservierung und Restaurierung der Werke, die gerade in der zeitgenössischen Kunst Konservatoren und Restauratoren vor schier unlösbare Aufgaben stellen. Was passiert z. B., wenn man ein Kamel von Nancy Graves restaurieren muss, einen Kiefer mit seinen Strohhalmen, Kreide und Blei, die Ecriture automatique eines Cy Twombly? Deshalb möchten wir unsere Auszeichnung auch dem Sammlungsteam verleihen, stellvertretend an Annette Lagler, stellvertretende Direktorin und Sammlungsleiterin, die die Sammlung wie ihre Westentasche kennt, und mit ihr den Restauratoren. Auch Ihnen ein großes Lob.

Meine Damen und Herren, mit unserer Auszeichnung würdigen wir die Denkarbeit, die Kreativität und die mühselige Recherche, die jeder guten Ausstellung zugrunde liegen, die Findigkeit Partner zu gewinnen. Leider hat unser Verein keine Mittel, um mehr als eine durch eine Urkunde bestätigte Auszeichnung zu verleihen. Dadurch wird die Verwaltung nicht in die Zwickmühle kommen, das Preisgeld von Ihnen zurückzufordern. Auf die unschönen Ereignisse, die in letzter Zeit der Presse zu entnehmen waren, möchte ich in bei diesem Festakt nicht eingehen. Sie sind für AICA Mitglieder allesamt unter jedem Niveau. Unseren Kollegen vom Journalismus möchten wir nahelegen, sich in Zukunft mehr mit Inhalten statt mit Stimmungsmachern zu befassen.

Nun möchte ich Herrn Beitin und die Kuratoren, die an den Ausstellungen von 2018 beteiligt waren, alle auf die Bühne bitten. Es sind

Annette Lagler (stellv. Direktorin)
Esther Boehle (Kuratorin in 2018 für "Pattern&Decoration")
Holger Otten (Kurator 2018 für "Russischer Aktivismus")
Benjamin Dodenhoff und Ramona Heinlein (Kurator*innen 2018 für "Erfindung der Neuen Wilden")

Für Sie, Herr Beitin, ist die Auszeichnung gleich ein Abschiedsgeschenk, das ich mit unseren besten Wünschen für Ihre Tätigkeit in Wolfsburg verbinde, für das Team soll sie helfen, den Ruhm dieses Hauses aufrecht zu erhalten und weiterzutragen.

Dr. Danièle Perrier
Präsidentin AICA Deutschland e. V.