Textversion

Sie sind hier:

Index

Essays

Katalogtexte

Pressetexte

Interviews

Danièle Perrier im Gesrpräch mit G. Korinthenberg

Kunstkritik in Zeiten von Populismen

Die gedehnte Zeit

Medienkunst fördern, wie?

Über Skulptur

Wo bitte geht es hier zum Schloß?

texts in English

Rezensionen

Suchen nach:

Allgemein:

Startseite

Datenschutzerklärung

Impressum

Kontakt

sitemap

Interview mit Zoltan Laszlo

DP:
Alle sehen das Gleiche, aber nicht alle nehmen dasselbe wahr. Der Eine sieht die reale Begebenheit, der Andere liest in dieser das Potential zu anderen Entwicklungsformen und dekliniert Visionen des Möglichen. Genau das machen Sie, wenn Sie als Grundlage für Ihre Installationen von konkreten Gegebenheiten ausgehen und diese derart verfremden, dass surrealistische Eindrücke entstehen, etwa wenn ein spröder, aus Leitplanken zusammengefügter Baum am Straßenrand steht. Doch im Gegensatz zu den Surrealisten erwecken die skurrilen Kombinationen keine Traumvorstellungen des Unbewussten, sondern sie führen inmitten aktuellster Kontroversen. Hier wird die Frage aufgegriffen, ob die schattenspendenden Baumalleen der Sicherheit unverantwortlicher Fahrer zu Opfer fallen sollen. Wie wichtig sind gesellschaftliche Fragen und politisches Engagement für Sie?
ZL:
Schattenspendende Baumalleen gibt es in der Kunst nicht, aber viele gefährliche Kurven. Im „Tal des Stipendiums“ gut angekommen, sind wir auf dem Schoss eines Schlosses vorerst gut aufgehoben, aber diese Sicherheit der Auserewälten gibt es auf dem Experimentfeld Kunst nicht. Für mich bedeutet Experimentieren nicht neue Stilmittel auszuprobieren, sondern die Wirkung des Stoffes Kunst auf den „Patient“ zu testen. Aber lassen Sie mich das mit einem Beispiel illustrieren. In 1831 hat Eugen Delacroix das Bild „Die Freiheit führt das Volk an“ der Öffentlichkeit vorgestellt, welches damals eine heftige Polemik auslöste. Die als Retterin dargestellte bewaffnete Frau, die mit entblößter Brust auf einem Leichenhaufen steht, in der einem Hand die Tricolore in der anderen ein Bajonett, schockierte damals Publikum und Kritik. Die zu realistische Darstellung war umstritten und das Thema politisch nicht opportun. Erst nach endgültigem Ende der französischen Monarchie und lange nach Delacroix´s Tod fand das Bild einen festen Platz in Louvre. Ich glaube, dass das Politische heute auch nur mit einer adekvaten Darstellung formuliert werden kann, und ich suche dieser Darstellung. Aber heute gibt es ein neues Problem; wenn der Patient Publikum hoch dosiert ist, ist es sehr schwer mit dem „Stoff“ Kunst noch eine Wirkung zu erzielen. Und die Bedeutung von politischer Kunst ist auch sehr konfus, diese ist oft nur illustrativ (eine Art Placebokunst) und plakativ (agitativ).
DP:
Im leerstehenden Laden der Kurkolonnade haben Sie einen Schuhladen, oder besser gesagt, die Bude eines Schusters installiert. Doch der Laden ist dicht und das Ganze Inventar ist mit weißen Tüchern zugedeckt. Nur einzelne Details ragen hervor, hier ein Schaft dort die Zunge eines Schuhs. In meinen Augen verstärkt die mächtige skulpturale Installation, die den Ausstellungsraum zur Gänze füllt, den Eindruck des nicht mehr Bestehenden. Das Leben hat in diesem Laden aufgehört, ersetzt durch lähmenden Stillstand. Der Bezug zur gegenwärtigen Situation ist offenkundig. Gibt es darüber hinaus eine allgemeinere Auslegung? Was bedeutet Sinnbild?
ZL:
Richtig, das ist eine Art Stillstand, die Arbeit hat mich auch an eine menschenleere Mondlandschaft erinnert. Das war die letzte Arbeit im Schloß Balmoral und damit habe ich die Schuhe des Wanderers wieder angezogen. Die „Reise“ geht weiter und dessen Sinnbild drück sich formal so aus. Das Innere eines Schuhes ist eine negative Form, ein Abdruck des Fußes und bedeutet hier die Abwesenheit des Menschen. Vom Tragen wird er sehr persönlich, was hier vom unbefleckten weißen Tuch betont wird.
DP:
Sie greifen als Ausdrucksmittel auf das Narrative zurück, was lange Zeit verpönt wurde. Welche Rolle spielt diese in der heutigen Kunst? Erschließt sie neue Wege? Wird sie anders eingesetzt als früher?
ZL:
Eine banale Bemerkung; wir sind heute von Bildern überhäuft. In diesem Chaos kann man mit Hilfe der Narration ein Zusammenhang eine Struktur erstellen, so wird die Aufmerksamkeit von Bild zu Bild gelenkt und mehr Wirkung erzielt. Deswegen kann das Kino die Menschen so lange an die Stühle fesseln und emotional gefangen halten. Diese Narative damals bei Delacroix war innerhalb eines Bildes konzentriert, dann in der Avangarde verworfen, heute kann man sie wieder installativ in eine Zeit-Raum Dimension vertieft darstellen.
DP:
Montage und Demontage liegen bei Ihnen eng beieinander. Mit der Präzision eines Architekten konstruieren Sie aus dem Bücherbestand der Bibliothek von Balmoral einen Baumstrunk. Er visualisiert die Potenz von Wissen und legt einen Vergleich mit dem Speicher eines Computers nahe. Doch der Baum der „Erkenntnis“ ist abgesägt, sein Wachstum unwiderruflich vereitelt. Melancholie stellt sich ein und dämpft den ursprünglich heiteren Eindruck. Was verbirgt sich dahinter?
ZL:
Ja, „Baum der Erkenntnis“ gefällt mir. Das Wissen muß immer von Individuum zu Individuum neu aufgebaut und von Lebenserfahrung geprägt werden. Die „Festplatte“ kann immer gelöscht werden und es gibt keine Absoluterkenntnis, keine Sicherheit. Ich glaube, dass die Angst und die existenzielle Bedrohung - welche das Leben immer in sich verbirgt - uns zu kulturelle Aktivitäten drängt. Entweder du schaffst es sie zu verdrängen, oder du musst sie künstlerisch verarbeiten, um das Leben besser zu ertragen. Das klingt alles depressiv, aber es ist nur die Melancholie, die im Gegensatz zum Zynismus die Möglichkeit der Hoffnung noch verbirgt.

Interview von Danièle Perrier, 2002

nach oben